08.09.2016

Rede beim Festakt »100 Jahre Deutscher Landkreistag«

© Deutscher Landkreistag

Festakt in der Französischen Friedrichstadtkirche, Berlin

Bun­des­rats­prä­si­den­ten Sta­nis­law Til­lich zum Ju­bi­lä­um »100 Jah­re Deut­scher Land­kreis­tag«

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich danke Ihnen für die Einladung zu Ihrem Festakt, die ich gern angenommen habe.

Die Landkreise sind ein wichtiges und starkes Bindeglied in Deutschland. Ohne Länder kein Bund und ohne Landkreise keine Länder. Aber auch: Ohne Landkreise keine gute Politik vor Ort. Denn ein Sprichwort sagt:

»Man kann aus der Ferne regieren,
aber nur aus der Nähe gut verwalten.«

Das ist ein starkes Plädoyer für die Subsidiarität und zeigt, wo die Stärken unseres Staatsaufbaus und unserer kommunalen Ebene liegen. Wenn man sagen kann, dass Deutschland gut regiert wird, dann ist das maßgeblich auch Ihrer Arbeit, meine Damen und Herren Landräte, Ihrer Mitarbeiter und der Arbeit der Kreisräte zu verdanken.

Und so sage ich im Namen des Bundesrates und als Ministerpräsident Sachsens: »Herzlichen Glückwunsch« Deutscher Landkreistag zum 100-jährigen Jubiläum!

Es gibt einen zweiten Grund, der es protokollarisch geradezu zwingend macht, den Landrätinnen und Landräten beim Jubiläum die Aufwartung zu machen. Im vergangenen Jahr habe ich den allseits bekannten Präsidenten des Sächsischen Landkreistages – Dr. Tassilo Lenk – verabschiedet. In seiner Dankesrede hob er nochmals die besondere Stellung des Landrates hervor: Der Landrat ist der höchste Repräsentant des Landes, der direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt ist. Weder der Bundespräsident noch die Bundeskanzlerin noch ich als vom Parlament gewählter Ministerpräsident können dies für sich reklamieren.

Im Lichte dessen sind 100 Jahre Deutscher Landkreistag ein Jubiläum hoch Zwei.

Die kommunale Ebene ist eben weit mehr als nur ausführendes Organ der staatlichen Verwaltung. Hier wird nah an den Bürgern Politik gestaltet. Wenn wir uns wünschen, dass Deutschland auch in Zukunft allen eine gute Heimat sein soll, dann kommt es nicht nur auf kluge Beschlüsse in Berlin und den Landeshauptstädten an. Sondern es kommt ebenso sehr darauf an, auf die Stimme der Kommunalpolitik zu hören, ihre guten Ideen aufzugreifen und sie mit den Mitteln auszustatten, die für eine agile, maßgeschneiderte Umsetzung des politisch Notwendigen gebraucht werden.

Und damit bin ich bei einem Punkt, der mir mit Blick auf die verschiedenen Ebenen in Politik und Verwaltung wichtig ist.

Bund und Länder haben derzeit viele Themen auf der Agenda, die mittelbar oder unmittelbar auch die Landkreise und die Gestaltungsspielräume von uns allen betreffen. Deshalb verstehe ich mich als Ministerpräsident auch als Anwalt der kommunalen Interessen bei den Verhandlungen mit dem Bund. Sei es bei der Energiewende mit ihren Stromtrassen und Windrädern, dem Bundesteilhabegesetz, der Zukunft der Bund-Länder-Finanzbeziehungen – oder der großen Aufgabe der Integration.

Mich leitet dabei ein Grundsatz, den ich nicht ganz uneigennützig auch dem Bund immer wieder in Erinnerung rufe: Das Konnexitätsprinzip. Wer bestellt, der muss bezahlen.

Die Landkreise und die kreisfreien Städte müssen viele Lasten in unserem Land tragen, ohne dass sie dafür ausreichend finanziert werden oder entsprechende Gebühren erheben können. Die Länder stoßen dann irgendwann an ihre finanziellen Grenzen, auch und gerade wenn sie wie Sachsen ein doch recht faires FAG haben.

Gewiss hat der Bund hier in einigen Bereichen schon Entgegenkommen gezeigt oder Angebote in den Raum gestellt. In den letzten Jahren konnten sich bei verschiedenen Anlässen die Länder mit dem Bund auf eine Finanzierungsbeteiligung des Bundes an Aufgaben verständigen, deren Vollzugs- und damit auch Finanzierungsverantwortung bei den Ländern und ihren Kommunen liegt.

Ich denke da an:

  • die Hochwasserschadensbeseitigung
  • die Kommunalinfrastrukturförderung für finanzschwache Kommunen
  • den Kita-Ausbau und
  • die Beteiligung an den Kosten der Unterkunft für Asylbewerber

Aber eine gewisse Leichtigkeit gibt es immer noch, in Berlin etwas zu entscheiden, das die unteren Ebenen dann administrativ und finanziell schultern müssen.

Das geht so nicht.

Mit Blick auf die Schuldenbremse, zu der sich Bund und Länder verpflichtet haben und die ich aus tiefer Überzeugung für richtig halte, schaue ich besorgt auf die Ebene der Landkreise und Städte. Sie dürfen am Ende nicht die Kreditgeber der letzten Instanz werden, um politische Ziele finanzieren zu können. Die politisch richtige und wichtige Disziplin in den Haushalten von Bund und Ländern darf nicht zu Lasten der Haushalte in Landkreisen und Städten gehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass uns die Schuldenbegrenzungen zu zwei Diskussionen führen müssen: Erstens, ganz grundsätzlich:

Was muss, was sollte und was kann sich die öffentliche Hand an Aufgaben und Investitionen leisten?

Hier scheint mir eine neue Priorisierung notwendig zu sein, die eigentlich zu den alten Kernaufgaben staatlichen und kommunalen Handelns zurückführen muss – von Bildung über Kultur bis zur Sicherheit. In vielen Bereichen werden wir ein größeres Maß an Eigenverantwortung, Eigeninitiative oder privatwirtschaftlicher Lösungen brauchen.

Und eine zweite Diskussion sollte sich nach meiner Überzeugung um die richtige Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten drehen.

Als ich im Europaparlament saß, war ich noch der Überzeugung, es braucht nur die EU-Ebene und die Landkreise, um in Europa gute Politik zu machen. Seit ich Mitglied der Staatsregierung bin und erst recht als Ministerpräsident des stolzen Freistaates Sachsen, hat sich da meine Meinung etwas geändert.

Aber das Prinzip ist mir immer noch wichtig: Wer kann was am besten regeln und gestalten. Und das Ganze mit möglichst viel Verantwortung und Freiheit vor Ort. Und ohne, dass wir uns durch immer mehr Vorschriften der vier verschiedenen Ebenen – EU, Bund, Länder und Kommunen – selbst das Leben schwer machen. Und so Dynamik und Initiativen in unserem Land unnötig behindern.

Nun will ich nicht nach einer neuen Föderalismusreform oder gar einer Staatsreform aller Ebenen rufen.

Eine Revolution im Leben ist für mich als Sachse, der die friedliche Revolution und die Wiedervereinigung erleben durfte, genug. Aber eine echte Subsidiarität darf nicht nur der theoretische Leitgedanke sein. Sondern sie muss in der Praxis auch Anwendung finden. Im Umkehrschluss heißt das dann aber auch, zu der Verantwortung zu stehen. Fehler dürfen dann nicht nach oben wegdiskutiert werden: Das war die Regierung oder die EU. Freiheit und Verantwortung gehen auch hier zusammen.

Nun gilt es natürlich auch, die Erfolge in der Zusammenarbeit zu erwähnen. An zwei Beispielen will ich deutlich machen, dass das Miteinander über die Ebenen hinweg gut funktioniert. Auch, wenn klar ist, dass wir immer noch besser werden können.

Das erste Beispiel: Die Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen und Asylbewerbern.

Ich will hier nicht die politische Debatte widerspiegeln. Vielmehr geht es mir um die großartige Leistung unserer Verwaltungen. Denn diese Herausforderung zu meistern, das war und ist neben Bund und Ländern auch eine gewichtige Aufgabe der Landkreise. So unterschiedlich die Aufgabe in den Ländern organisiert ist: Uns ist es gemeinsam gelungen, die Menschen aufzunehmen und zu versorgen. Und es ist nun vor allem die Aufgabe in den Landkreisen, Städten und Gemeinden, das Zusammenleben gut zu gestalten und die Integrationsangebote fruchtbar zu machen.

Noch etwas zeichnet die kommunale Ebene in besonderer Weise aus: Landräte und Kreisräte müssen meist ungeschützt und unmittelbar Rede und Antwort stehen. Das ist immer eine Herausforderung – aber ganz besonders, wenn ein Thema wie die Asyl- und Flüchtlingspolitik die Menschen so sehr bewegt. Zumal die Stimmung rauer und die politische Auseinandersetzung bissiger geworden sind – nicht nur in diesem politischen Bereich. Ich zolle Ihnen für diesen Dienst an der Demokratie hohen Respekt. Und ich bin jedem Bürger dankbar, der bereit ist, auf kommunaler Ebene Verantwortung zu übernehmen und sich den Auseinandersetzungen zu stellen. Die beste Antwort vieler Landkreise auf den Populismus lautet: Mehr und neue Formen der Bürgerbeteiligung: Zum Beispiel bei Energieprojekten, der kulturellen Entwicklung, der Integration von Migranten oder bei der Haushaltsaufstellung.

Die Beispiele zeigen: Kommunalpolitik ist nicht nur gute, weil bürgernahe Verwaltung. Kommunalpolitik ist vielmehr auch gelebte demokratische Praxis.

Das zweite Beispiel guter Zusammenarbeit ist der Aufbau Ost, der in den vergangenen 26 Jahren aus den Neuen Ländern erfolgreiche junge Länder gemacht hat. Nicht von ungefähr wurde das Gesetz über die Kommunalwahlen noch vor dem Gesetz zur Länderneugliederung verabschiedet. Das macht einmal mehr deutlich, wo die Wurzeln von Politik und Gesellschaft liegen. Die Aufbaugeneration der ostdeutschen Landräte hat Großes geleistet und kann auf Ihre Arbeit stolz und zufrieden zurückblicken. Sie hatten dabei Unterstützung von Partnerlandkreisen aus Westdeutschland. Das war eine enorme Hilfe, so wie die Paten-Länder in Westdeutschland eine enorme Hilfe für die ostdeutschen Länder waren.

Ich sage heute einmal mehr: Herzlichen Dank dafür, dass die Landkreise aus Ost und West gemeinsam die innere Einheit vorangebracht haben!

Der Aufbau Ost ist weit vorangekommen. Jetzt geht es um das Aufholen – denn Wirtschaftskraft und Steueraufkommen sind nach wie vor viel schwächer als im Westen Deutschlands. Und auch hierfür spielen die Landkreise eine wichtige Rolle. Zum einen, weil sie Partner der Wirtschaft oder über kommunale Unternehmen selbst Akteure der Wirtschaft sind. Und sie sorgen mit Krankenhäusern, Kultur- und Sozialeinrichtungen für überzeugende weiche Standortfaktoren. Zum anderen aber auch, weil sie oft Träger von Sparkassen sind, die einen unverzichtbaren Beitrag auch für die Finanzbedarfe von Unternehmen, gerade der kleinen und mittleren, leisten.

Hier sehe ich eine weitere, wichtige Zukunftsfrage für die Landkreise: Wie erhalten und stabilisieren wir das wertvolle Netz unserer Sparkassen, die die Wirtschaft vor Ort genauso fördern wie Kultur, Sport und soziales Engagement. Während die Großbanken über weitere Konsolidierungsschritte nachdenken und oft weder räumlich noch in ihrer Philosophie vor Ort sind oder sich in die regionalen Belange hineinversetzen, sind Sparkassen der finanzstarke Partner um die Ecke. Sie müssen auch oft einspringen, wenn die Abwesenheit von Großbanken nicht mehr durch Landesbanken wettgemacht werden kann.

Das heißt: Die Sparkassen sind unverzichtbar.

Aber die Herausforderungen sind enorm: Die Niedrigzinspolitik macht ihnen besonders zu schaffen. Die Präsenz in der Fläche treibt die Kosten hoch. Und die Erträge gehen zurück – aus verschiedenen Gründen. Auch hier sehe ich uns vor einer wichtigen Diskussion: Wie nutzen wir das positive Image der Sparkassen und ihre Stärken, um sie zukunftsfest zu machen? Wie erhalten wir die Präsenz gerade im ländlichen Raum und erwirtschaften dennoch solide Erträge?

Darauf die richtigen Antworten zu geben, ist die Aufgabe der nächsten Jahre.

Gelingt es, den Erfolg der Sparkassen unter neuen Rahmenbedingungen zu erhalten, haben Landkreise aber auch Länder weiterhin einen wichtigen Partner an der Seite, wenn es um Aufbau und Wachstum und die Schaffung gleichwertiger Lebenschancen in Deutschland geht. Und das verbindet uns alle, die wir in der Politik im Bund, in den Ländern und auf kommunaler Ebene in Verantwortung stehen:

Wir wolle Chancen eröffnen und nutzen, wir wollen Gutes für unser Land und die Menschen erreichen.

Das gelingt uns, wenn wir vertrauensvoll und vernünftig zusammenarbeiten. Darauf setze ich auch bei den Landkreisen und so sage ich nochmals: »Herzlichen Glückwünsch«.

Ich wünsche den Landkreisen und dem Deutschen Landkreistag, ich wünsche Ihnen allen für das nächste Jahrhundert viel Erfolg. Und ich setze darauf, dass Länder und Landkreise auch weiterhin in guter Partnerschaft gute Politik machen.

Vielen Dank.

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