19.10.2022

Parlamentarischer Abend zum «Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation«

Bewerbung der Städte Leipzig und Plauen

Zwei sächsische Städte bewerben sich gemeinsam als Standort für das von der Bundesregierung geplante »Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation«: Leipzig und Plauen.

Dieses Zukunftszentrum soll sich mit gesellschaftlicher Transformation und ihren weitreichenden Folgen auseinandersetzen und den Diskurs darüber intensivieren. Wissen und Erfahrungen über die Umbrüche seit 1989 sollen sichtbar und erlebbar gemacht werden und die repräsentative Demokratie und den Zusammenhalt in Europa stärken.

Dem Städtetandem Leipzig und Plauen kommt bei der Bewerbung eine besondere Symbolkraft zu:  Leipzig und Plauen waren die Orte, in denen erste Massendemonstrationen im Oktober 1989 die Friedliche Revolution in der DDR auslösten. Damit wirkten sie als Impulsgeber für die folgenden, oftmals schmerzhaften Transformationsprozesse, die noch heute andauern und nachwirken.

Die internationale Metropole Leipzig und die Mittelstadt Plauen mit starkem Bezug in den ländlichen Raum bringen gemeinsam ein einzigartiges Spektrum von Umbruchserfahrungen in die Bewerbung ein. Mit einem »Zukunftszug« – so eine Vision der Bewerbung – soll außerdem das Zukunftszentrum auf Schienen zu den Menschen gebracht werden, mit Ausstellungen, Begegnungsräumen und Raum für Wissenschaft.

Im Rahmen eines Parlamentarischen Abends am Mittwoch, 19. Oktober 2022 informierten Entscheidungsträger und Protagonisten über den Stand der Bewerbung und diskutierten Ideen und Perspektiven eines solchen Zukunftszentrums mit rund 200 Gästen in der Sächsischen Landesvertretung. Moderiert wurde der Abend von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Bundestagsabgeordneten für das Vogtland, Yvonne Magwas MdB.

Ihre Filmaufnahmen gehören zu den wohl bekanntesten der deutschen Geschichte: Detlev Braun und Siegbert Schefke filmten am 7. Oktober 1989 in Plauen bzw. am 9. Oktober 1989 in Leipzig, wie die Menschen begannen, zu Tausenden auf die Straße zu gehen. Eindrucksvoll schilderte Zeitzeuge Detlev Braun, wie er seinen Super-8-Film im elterlichen Kohlekeller versteckte und erst Wochen später in den Westen schmuggeln konnte.

Der Bürgerrechtler und Journalist Siegbert Schefke berichtete, wie er gemeinsam mit Aram Radomski am 9. Oktober vorbei an NVA-Kolonnen nach Leipzig fuhr, wo sie am Abend im Taubenschlag des Turms der Reformierten Kirche liegend die mutigen Demonstranten filmten. Beide nannten ihre eigenen Gründe, biographisch und ganz praktisch, warum das Zukunftszentrum nach Sachsen kommen soll. Seien es die Erfahrungen der Plauenerinnen und Plauener an der grünen Grenze oder der Umstand, dass es mehr Hotelkapazitäten gibt als in anderen Bewerberstädten.

Die beiden Oberbürgermeister Burkhard Jung (Leipzig) und Steffen Zenner (Plauen) unterstrichen die Motivation ihrer beiden Städte Standort für das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation zu werden. Sachsen als Kernland der Friedlichen Revolution blickt auf eine lange Geschichte unterschiedlicher Transformationserfahrungen zurück, die in Großstädten wie Leipzig und im ländlichen Raum wie im Vogtland grundsätzlich unterschiedlich waren und doch eine regionale Verbundenheit schaffen.

Dabei gibt es nicht im Jahr 1989 stehenzubleiben, sondern von dort aus in die Zukunft zu denken. »Alles ist veränderbar«, unterstrich OB Jung den Anspruch an das Zukunftszentrum getreu seinem Namen kein Museum der Deutschen Einheit zu sein.  Plauen und Leipzig überzeugen als regionaler Entwicklungsraum einerseits, und gleichzeitig mit einer Vernetzung in die Welt andererseits. Als Doppelstandort gibt es hier »doppelte Leistung fürs gleiche Budget«, so Plauens OB Zenner.

Der Anspruch der beiden Bewerberstädte erschöpft sich jedoch nicht in einem musealen, in Beton gegossenen Zentrum. Vielmehr soll das Konzept durch einen sogenannten Zukunftszug mobil und dynamisch werden. Die Idee dahinter: Ein rollendes Zukunftszentrum geht auf Reisen durch ganz Europa, bringt die Erfahrungen zu den Menschen und schafft Begegnung und Dialog.

Anders als das eigentliche Zentrum, kann der Zukunftszug schon unmittelbar nach der Entscheidung und somit lange vor der Eröffnung des Zentrums in Betrieb genommen werden. Auch diese Idee stellten die beiden Oberbürgermeister, filmisch unterstützt, dem interessierten Publik in der Landesvertretung vor.

Bewerbung Leipzig und Plauen für das Zukunftszentrum

Getragen wird die Bewerbung von einer Vielzahl an Unterstützern. Eine davon ist die Stadt Chemnitz, die 2025 den Titel Kulturhauptstadt Europas tragen wird. Im Namen der Stadt verdeutlichte Kulturbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky, wie die Kulturhauptstadt Chemnitz als regionaler Partner ein Zukunftszentrum in Plauen und Leipzig zusätzlich stärken könne. So sind beispielsweise Nachnutzung und Integration von Elementen der Kulturhauptstadt, wie einer Europa-Garage im Garagencampus, in das Zukunftszentrum angedacht.

Über das wissenschaftliche Programm der Bewerbung berichtete Prof. Dr. Matthias Middell, Professor für Kulturgeschichte an der Universität Leipzig. Transformation sei kein singuläres und punktuelles Ereignis, vielmehr werde sie fortgesetzt mit anderem Charakter.

Auch aktuelle Transformationsprozesse drehen sich um ähnliche Themen wie 1989. Bei der Bewerbung von Leipzig und Plauen stehen aus seiner Sicht drei Aspekte im Vordergrund. Erstens, Demut, denn keiner wisse, wohin Transformationen führen. Gerade die Schilderungen der Zeitzeugen belegten, dass ein positiver Ausgang von Transformationsbewegungen nicht von Beginn an garantiert sind.

Zweitens geht es um die Entprovinzialisierung von Transformation. Das, was 1989 in Ostdeutschland passierte, steht in einem globalen Zusammenhang zu ähnlichen Ereignissen, etwa in Chile oder Südafrika. Und drittens könne das Zukunftszentrum zu einer Änderung im Wissenschaftsbetrieb in Form einer Regionalisierung von Wissenschaft führen. Leipzig und Plauen verdeutlichen Leuchttürme und Abgehängte als Ergebnis einer Transformationserfahrung. Zukünftig müsse Transformation daher viel mehr auch Regionalentwicklung bedeuten.

Den Geist des Abends fasste Prof. Middell treffend zusammen: »Sollten wir den Standortwettbewerb nicht gewinnen, machen wir es trotzdem.«

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